Die Tür eines unscheinbaren, alten Häuschens im verschlafenen Thayatal öffnet sich. Eine Vielzahl eigenartig anmutender Geräte und Apparaturen findet sich in den verwinkelten Räumlichkeiten. Was für manche wohl anmutet wie das Labor eines Alchemisten sind die heiligen Hallen des Uhrmachers. Fern ab der kargen Nüchternheit einer Fabrikationsstätte der modernen Uhrenindustrie oder der kalten Aura einer konzessionierten Servicewerkstätte finden sich hier eine große Menge von Maschinen und Werkzeugen aus den verschiedensten Epochen. So manche Stücke würde man wohl eher in einem Museum vermuten, doch hier sind sie nach wie vor im Einsatz und werden ob ihrer Präzision und Qualität geschätzt. Ein Rad hier, ein halbfertiger Zeiger dort – man sieht, diese Werkstätte lebt! Aus rohen Metallstangen und Platten, Edelsteinen, Kugellagern, Glas und edlen Hölzern entstehen hier Schritt für Schritt und Stück für Stück in äußerst zeitintensiver Handarbeit mechanische Unikate, welche ihre Besitzer über Jahrzehnte und Generationen erfreuen sollen. Hunderte von Stunden stecken in einer einzigen Uhr. Oftmals vergehen Tage bis ein einziger Bauteil fertig ist. Dies müsste natürlich nicht so sein, denn ob ein Teil grob gestanzt ist oder aufwendigst veredelt hat zwar für die Funktion meist keine Bedeutung, doch das stetige Streben nach Perfektion erlaubt keine Kompromisse und so kann der Uhrmacher erst in dem Wissen, an die Grenzen des für ihn machbaren gegangen zu sein, ruhig schlafen. Vielleicht ist auch dies ein Grund für die geringe Verbreitung dieses Berufs...
Hier zwischen all den Feilen, Drehbänken, Teilapparaten und Messingspänen wird klar, was der Begriff Manufaktur für eine Bedeutung hat und wie leichtfertig er heute verwendet wird. Gilt heute jeder Uhrenhersteller, welcher sich nicht Werken eines Zulieferers bedient als Manufaktur, so sollte man doch bedenken, dass die dort entstanden Uhrwerke, wie gut oder schlecht deren Qualität auch sein mag, in erster Linie auf vollautomatisierten Fertigungsstraßen, ähnlich der Automobilindustrie, entstehen. Bei Stückzahlen die in die Hunderttausende gehen ist dies verständlich, jedoch sollte man dabei nicht vergessen, dass Manufaktur grob übersetzt „von Hand erbauen/herstellen“ bedeutet und dies ist bei solchen Konzernen höchstens in kleinen Spezialabteilungen möglich. Dem Sinn des Wortes entsprechend können sich heute nur noch sehr wenige von den Konzernen unabhängige Hersteller als Manufaktur bezeichnen. In diesen Fällen ist auch keine überdotierte Marketingabteilung nötig, welche
dem Kunden die heile Welt der traditionellen Uhrmacherei vorspielt, denn in diesen wenigen Fällen ist diese tatsächlich noch intakt.
Bernhard Wagner, Uhrmachermeister
Oberndorf 24, 3820 Raabs an der Thaya, 0676 / 7584726, info@uhrmacherkunst.at